[kolumnen]
In der ersten PDF-Ausgabe des specials von "project 57 - Journal für Business Computing und Technologie" erschien am 26. Mai 2003 (siehe auch [project 57 specials]) unter der Kolumne "tabu - ein branchentagebuch" der folgende Beitrag: |
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Von Kriegsbeuten und Friedensdividenden
VON HARTMUT WIEHR „Wenn man ein Loch in eine Landkarte aus Papier [8-4-03, Berlin] - Endlich wieder Business Lounge! Die Entzugserscheinungen hatten während der kleinen Zwangspause an manchen Tagen erschreckend zugenommen. Doch so richtig vermisst waren jene peinvollen Stunden auch nicht gewesen - die Atmosphäre der zu eng gestellten Ledersessel und winzigkleinen Tische, der Drinks & Snacks, so richtig geeignet zum schnellen Kalorienanfressen, und - vor allem - der völlig belanglosen Handytelefonate und Businessgespräche, vor denen in diesen Örtlichkeiten kein Auskommen ist. Moderne Folter. Diese ganzen schrecklichen Tschüsschen und Ciaos und „Bin jetzt am Flughafen“ und „Unsere Strategie ist voll aufgegangen“ und in die Notizblöcke der subalternen Mitarbeiter diktierten Check- und To-do-Listen. Berlin-Tegel hat jetzt endlich auch seine Lounge - der normale Wahnsinn ist angekommen. [9-4-03, Hannover] - Das war also einmal die größte deutsche Industriemesse. Wer sich jetzt noch nach Hannover aufmachte, der kam sich eher verloren in und ausserhalb der großzügig belegten Hallen vor (Ausstellungsfläche zum Sonderpreis und mit viel Platz drum herum, no problem). Weniger Aussteller, weniger Besucher. Die reinen Zahlen an sich sind eher langweilig, auffällig dagegen der aufgesetzte Optimismus der Messegesellschaft. Dabei sind die nächsten Abwanderungen ganzer Branchen wie der Robotikindustrie schon beschlossene Sache. Der Kanzler war auch da: Offenbar besteht die Definition dieses Berufsstandes nur noch darin, für Schönwetter zu sorgen. Positiv: Zimmersuche und Verkehrssituation ohne Stressfaktoren. Dennoch vorherrschendes Gefühl: bloß wieder weg hier! Deutschland im Abseits. Irgendwie passt das zusammen: Schröder und sein Hannover. [15-5-03, Leverkusen] - War der Krieg gegen den Irak nun gut oder schlecht für das Geschäft? Ein regelrechter Schlagabtausch rauschte seit Ausbruch der Kämpfe durch den internationalen Blätterwald. Klar zunächst, dass das Geschäft im Irak leiden musste. Bei täglichen Bombenangriffen, Truppenvormärschen und strategischen Entscheidungen, die nur ein paar Tage später wieder umgeworfen wurden, erstrecken sich Kaufgelüste nur noch auf das unbedingt Notwendige - und diese Befriedigung der Grundbedürfnisse fällt den Umständen entsprechend knapp aus. Da war die Spekulation an den Börsen schon eindeutiger: Die Börse liebe nun einmal, so hiess es in den ersten Kriegstagen, klare Entscheidungen. Also gingen die Kurse erst einmal nach oben. Um schon ein paar Tage wieder die Normalität eines kontinuierlichen Absackens zu erreichen. So wie schon in den letzten drei Jahren - seit Ende des E-Commerce-Hypes und des ihn begleitenden Aktienbooms. Erste Opfer waren in der Wirtschaftspresse zu beklagen - zuvörderst bei der US-amerikanischen Industrie. United Airlines vom Bankrott bedroht, andere Carrier versuchten, durch drastische Flugplankürzungen und erneuten Personalabbau die sinkende Flugbereitschaft der Zivilbevölkerung zu unterlaufen. Andererseits: Ölpreise schnell wieder auf Normalniveau. Bayer Leverkusen und die Stadt drum herum als Symbol der deutschen Dauerkrise: Vielleicht sollten sie Daum wieder holen. Strukturkrise? Hausgemacht? Schade eigentlich, dass niemand mehr Zusammenhänge sehen will. Auf dem Siegerpodest jedenfalls: die IT-Industrie. Nach dem schnellen Sieg Rumsfelds winken ihr dicke Aufträge wie schon lange nicht mehr. Dumm irgendwie, dass Schröder voll auf Wahlkampf gemacht hat. Das kostet Aufträge, und zwar nicht zu knapp. Fischer hat seine EU-Perspektive. Und Schröder? Von der deutschen Wirtschaft ganz zu schweigen. Gründlich vergeigt. Kriegsspiele oder IT und Krieg BusinessWeek hatte schon am 7. April 2003 klargestellt, was moderne Informationstechnologie alles kann: „1. Frontsoldat: Hinter den feindlichen Linien findet er gegnerische Kommandozentralen heraus. Mit Laserfernrohr und GPS-Gerät ausgerüstet, berechnet er die Koordinaten von Zielgebäuden. Dann überträgt er die Daten via Satellit zu seinem Einsatzkommando. 2. Ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug (Drone) macht sich auf den Weg und schiesst präzisere Fotos und Livevideos des Zielobjekts und überträgt sie via Satellit direkt an das Einsatzkommando und die Befehlshaber vor Ort. 3. Offiziere und Spezialisten analysieren die Situation, prüfen die digitalen Landkarten, die aus den Satellitenfotos erstellt wurden, und senden einen Einsatzbefehl an bereits in der Luft befindliche B2-Bomber, satellitengesteuerte Bomben auf das lokale Ziel loszuschicken. 4. Die B2-Bomber erhalten von den Satelliten genaue Positionsbestimmungen, die in deren Leitsystem eingespeist werden. 5. Aus sehr großer Höhe werden die Bomben abgeworfen. 6. GPS-Satelliten senden weitere Positionsdaten an die Bomben und korrigieren so ihre Flugbahn Richtung Ziel am Boden. 7. Frontsoldat: Beobachtet, wie die Bomben ihr Ziel treffen und stellt den Schaden fest.“ |
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