[infrastrukturen]

Lizenzstreit um Linux und mehr

VON RAINER GRAEFEN

[5-8-04] Mit dem geistigen Eigentum ist das so eine Sache. Angesichts weltweiter Forschungstätigkeit und einer global inzwischen ziemlich einheitlichen Wissensbasis ist es eigentlich immer nur eine Frage der Zeit, wann jemand etwas Einzigartiges entdeckt. Bekanntermaßen kann man diese „einzigartige“ Erfindung durch ein Patent schützen und sich damit die alleinigen Nutzungsrechte (und flotte Einnahmequellen) sichern lassen. Ob Patente den Fortschritt der Menschheit befördern oder doch eher behindern, darüber wird gerne gestritten. Manch einer weiß von Erfindungen zu berichten, mit denen sich sinnvolle Sachen hätten herstellen lassen, aber auf Grund interessierter Besitzverhältnisse leider nie realisiert wurden. Ein wahrlich beliebtes Kampffeld systemkritischer Anschauungen der einen oder anderen Art. Auch der besserwisserischen Art.

Software gehörte lange Jahre nicht zum schützenswerten geistigen Eigentum, da es sich angeblich nur um beliebig wiederholbaren Programmiercode handelte. Das mit dem Schutz geistigen (= unternehmerischen) Eigentums sieht der Welt größte Wirtschaftsmacht Amerika seit einiger Zeit anders. Und nun mit einigen Jahren Verzögerung auch die europäische Union. Wir in Europa sind schließlich kein Rohstoffland und besitzen genau besehen nichts außer dem Rohstoff zwischen unseren Ohren. Wie man sieht, kann man sich damit selbst unter neuen globalen Bedingungen als eine der wesentlichen Welthandelsmächte behaupten, wohingegen Rohstoffländer nicht einmal in der Lage sind, frühere Entwicklungsstufen des Westens einzunehmen. Ein weites Feld, bei dem nicht nur aus Gerechtigkeits-überlegungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheint …

Europa wird reif für Software-Patente

Mit dem noch nicht vollständig vollzogenen Bekenntnis der Europäischen Union (EU) zum geistigen Eigentum an Software im Allgemeinen und Algorithmen und anderen sinnvollen Codierabfolgen im Besonderen bahnt sich nun, wie es scheint, ein größeres Dilemma an. Denn der Linux-Kernel ist nicht so frei, wie es uns seine gutmeinenden Erfinder glauben machen wollten. Dieser Linux-Kernel wird bekanntlich als quelloffenes Betriebssystem unter die Menschheit gebracht, die den Programm-code sogar weiter verbessern darf, diesen dann aber nach bestimmten Regeln der „Community“ der Allgemeinheit wieder zur Verfügung stellen muss. Solche eigentlich als Nettigkeit zu wertenden Spielregeln treiben Rechtsexperten angesichts der zu Grunde liegenden ungeklärten Besitzverhältnisse regelmäßig in den Wahnsinn, da sie sich den Kopf darüber zerbrechen müssen, wen man denn zur Verantwortung ziehen könnte, wenn zum Beispiel ein nicht vollständig ausgetesteter Speichertreiber den Datenbestand von Unternehmen zerstört.

Die ungeklärte Besitzfrage bei Linux steuert jetzt auf einen neuen Höhepunkt zu, und die freiheitlich gesinnten und antimonopolistisch eingestellten Münchner Stadträte und DV-Verantwortlichen geradzu auf die Barrikaden. Das verwundert etwas, war sich doch die ganze Linux-Gemeinde sicher, dass der Unix-Anbieter SCO mit seinen diversen Klagen und dem offenen Ansinnen, Kasse machen zu wollen, keine Chance haben würde. Jetzt könnte dieses Ansinnen allerdings auf eine neue Art den Segen des Gesetzgebers bekommen. Und zwar dann, wenn die Europäische Komission tatsächlich die Patentierbarkeit von Software verabschieden würde.

In diesem Fall würde allein der bei der Stadt München geplante Einsatz von Linux-Clients gegen etwa 50 europäische Softwarepatente verstoßen. So kolportiert es jedenfalls Jens Mühlhaus, Stadtrat der Münchner Grünen. Und mit seinen Berech-nungen steht er nicht allein. Das englische Magazin Computer Business Review (CBR) veröffentlichte Zahlen aus einer Übersicht des Open Source Risk Manage-ments (OSRM), denen zufolge allein der große Linux-Gegenspieler Microsoft 27 Patente an diesem "quelloffenen" Code besitzen soll, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Linux-Kernel integriert wurden. Insgesamt sollen im Kernel 287 Patente zum Einsatz kommen, die in fremden, allerdings nicht immer Linux-feindlich gesonnenen Händen liegen sollen. Diese Anzahl sollte nicht weiter verwundern, da Linux schließlich auch mit Windows-Betriebssystemen zusammenarbeiten soll, und überdies die Wahrscheinlichkeit nicht gerade klein ist, dass sich der eine oder andere Linux-Entwickler an bereits vorliegenden Ideen bedient haben könnte.

Wie Unternehmen Patente regeln ...

Marktwirtschaftlich geschulte Zeitgenossen müssten jetzt auf die Idee kommen, dass die Benutzung der Patente durch die Zahlung von Lizenzgebühren zu regeln wäre, wie das andere unternehmerisch denkende Firmen und „Entscheider“ unter den Bedin-gungen einer freien Volkswirtschaft nun mal so machen müssen. Laut CBR hat jedes Patent in diesem Zusammenhang allerdings einen Wert von etwa zwei bis vier Millionen Dollar. Ob sich diese Patentrechte vom Besitzer auch tatsächlich durch-setzen lassen, kann niemanden so recht trösten, da es auf jeden Fall langwierige Rechtsstreitigkeiten geben würde. Große Hersteller haben es da einfacher: Sie regeln die Zahlungsproblematik gerne mittels Cross-Licensing, also über den Austausch von Patentrechten. Das ist Endkunden so nicht möglich. Und das sorgt wiederum dafür, dass im Münchner Stadtrat eine Art SanktFlorians-Stimmung aufkommt, die der Volksmund gerne so umschreibt: „Herr schütze dieses Haus, zünd’ lieber andere an“. Als erste Maßnahme fordert Stadtrat Mühlhaus jetzt die Intervention von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) bei der Bundesregierung, die wiederum bei der EU-Kommission vorstellig werden solle. Würde es allerdings zu keiner Änderung der EU-Politk kommen, droht das Allerschrecklichste, was sich ein Münchner Stadtrat vom Schlage des Grünen Mühlhaus vorstellen kann: Die Patentklagen könnten den Ausfall kompletter Teile der Stadtverwaltung bewirken. Chaos im bürgerlich geprägten München – nichts Schlimmeres als das!

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