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Im Gerangel um die Datenkommunikation:
UMTS, Wi-MAX und die Kuh als Netzknoten

VON ULRIKE OSTLER

[27-10-04 / p57] Wenn sich ein wenig abseits der Systems die Spitzenvertreter der Telekommunikationsbranche zum Kongreß treffen, darf das Publikum mit Orakeln rechnen. Breitbandiger Datenverkehr ist das Geschäft der Zukunft, soweit sind sich allerdings alle einig. Ob das Handy sich allerdings eignet als zentrale Domain für alle Datendienste, wie es T-Mobile wünscht, UMTS oder Wi-MAX die Technik der Zukunft werden, wer die Rechte am Content hält und was ein Kunde überhaupt wünscht oder besser bezahlen will, sorgt für Diskussion, Futterneid und Bunkerstellung.

„Da wird sich mein Schwager freuen, wenn er seine Kühe bald als Netzknoten vermarkten kann“, lästerte Vesey Crichton, EMEA-Vice-President vom PDA- und Smartphone-Hersteller Palmone, über einen Vortrag von Hannes Schwaderer, Geschäftsführer von Intel Deutschland. Denn während der Endgerätehersteller Browser-Oberflächen auf dem Handy und Navigationssysteme auf dem Handheld als Innovation feierte, wagte der Intel-Repräsentant einen Blick in „ein völlig neues Universum von Anwendungen“. Dazu gehört für ihn die Auto-zu-Auto-Kommunikation in einem „smeshed Network“. Sende-Empfangseinheiten in jedem Auto könnten ein Kontrollnetz verwirklichen, in dem von Fahrzeug zu Fahrzeug neuste Software aufgespielt und Fahrzeugdaten ausgetauscht werden. Beispielsweise wäre es ohne Fahrerinteraktion möglich, ortsbezogen Stauhinweise zu empfangen oder umgekehrt bei Stillstandsmeldungen an eine zentrale Stelle zu generieren, legte Schwaderer dem Publikum dar. RFID-Chips und andere Funktechniken ermöglichten bereits jetzt die Kontrolle der Nahrungsaufnahme von Kühen beziehungsweise die Steuerung ihrer Milchproduktion. So bei Versuchen auf einem schleswig-holsteinischen Hof erprobt. So genannte I-Nodes, Chips, die messen und kommunizieren können, protokollieren auch den Zustand eines kalifornischen Weinbergs von der Bodenbeschaffenheit bis zum Reifegrad der Trauben. Mit zusätzlichen Wetterinformationen, könne, erläuterte Schwaderer, der Schädlings- und Krankheitsbefall der Weinpflanzen prognostiziert werden. Der Nutzen: Gegenmaßnahmen sind frühzeitig möglich, so daß sich der Gebrauch von Spritz- und Düngemitteln erheblich reduziert.

Intel will es wissen

Um solche Applikationen zu ermöglichen, meinte Schwaderer, werde es bald vier Basisstandards der drahtlosen Breitband-Kommunikation geben: Wi-Fi, Wi-MAX, 3G (als UMTS oder in Form von CDMA 2000) sowie Wi-Media. Seiner Darstellung nach werden diese Technologien einander nicht verdrängen, sondern ergänzen. Wi-Media eigne sich für das Überspielen von Filmen auf einen PC oder von HDTV-Filmen vom PC auf den Fernseher. Wi-Max siedelt er auf Laptops und anderen tragbaren Computern an. Der Fachverband IEEE hat wunschgemäß im Juni dieses Jahres den dafür tauglichen Standard 802.16-2004 verabschiedet. Intel plant jedenfalls, die Wi-MAX-Fähigheit ab 2006 in Notebooks zu integrieren. Die technischen Details wurden bereits in diesem September unter der Bezeichnung „Rosedale“ veröffentlicht. Der Rosedale-Chip soll in festen Basisstationen eingesetzt werden, die Wi-MAX-Teilnehmer im Umkreis von sechs bis zehn Kilometern nutzen können.

Auch für Handys hat Intel Pläne in der Schublade. Heute bestünde ein solches Gerät aus 200 Komponenten, die zu einem wesentlichen Teil seit fünf oder gar zehn Jahren nahezu unverändert hergestellt würden, so Schwaderer: „Der Innovationsgrad bei Mobiltelefonen ist also noch steigerungsfähig.“ Er kündigte an, daß Intel im kommenden Jahr einen Handy-Prototypen vorstellen will, der zu 80 Prozent aus digitalen und nur noch zu 20 Prozent aus analogen Komponenten bestehen wird. Heute sei das Verhältnis noch nahezu ausgewogen. „Unser Ziel ist es, in Zukunft nur noch einen einzigen Chip zu verwenden.“ Zum Beispiel werde der „Carbonado“-Chip, den Intel für die Beschleunigung von Grafikdarstellungen entwickelt hat und der mit 640 mal 480 Pixel einer Low-end-VGA-Karte für den PC entspricht, in den Applikationsprozessor eines Handys integriert. „Zudem werden die Leitungsbahnen lediglich 90 Nanometer Durchmesser haben“, schwärmte der Intel-Geschäftsführer. Heute seien noch 0,25 bis 0,5 Mikrometer üblich.

So konkret wollte Lothar Pauly, der Vorstandsvorsitzende des neu geschaffenen Siemens-Bereichs Communications, nicht werden. Dennoch sah auch er Bedarf bei der Weiterentwicklung mobiler Devices, und zwar in der Unterstützung verschiedener Netze. Das sei erforderlich, um beispielsweise Anwendungen wie Voice-over-IP über Wireless LAN zu ermöglichen. Den Kunden interessiere letztlich nicht, ob er über UMTS, Festnetz oder Hotspots verbunden sei. Das müsse völlig transparent geschehen. Eine Möglichkeit aber, diese Transparenz herzustellen, bestehe darin, ein Gerät zur Verfügung zu haben, das sämtliche schnelle Leitungen unterstütze.

Ob sich damit zumindest ein Teil der Probleme lösen läßt, die die Telekommminkationsanbieter mit dem fehlenden UMTS-Geschäft haben, darf spekuliert werde. Die Carrier suchen nach wie vor nach den so genannten Killerapplikationen und passenden Geschäftsmodellen. Rudolf Gröger, CEO von O2, forderte jedenfalls: „Wir müssen erst einmal verkaufen lernen“, und formulierte die Frage: „Wie erklären wir einem Kunden, daß wir die Probleme, die er heute noch gar nicht hat, lösen können?“ Er kritisierte, daß die Branche Kunden gleichsetze mit „verkaufter SIM-Karte“. Gemeinsam mit anderen Industrien werde sein Unternehmen nun aber verschärft an einer Kundensegmentierung arbeiten. Als ein Beispiel für die Annäherung an Kundenbedürfnisse wählte er „Musik-Downloads“. Musik sei Hobby, ja, Philosophie – und in ein keinem Fall entwickle sich der Musik-Download zur nächsten Generation des Klingelton-Geschäfts.

Hier klingt an, was die Content-Anbieter schon immer gerne hören wollten: Nur sie hätten Ahnung vom Geschäft mit Inhalten – Musik, Videos, Text.

Technik mit Lücken

Bis jetzt ist jedoch noch nichts entschieden. Den Content-Machern kommt etwa die Tatsache zur Hilfe, daß die Technik noch gar nicht richtig funktioniert. O2-Manager Gröger berichtete, daß bei den ersten Versuchen, einen Torschuß in einem Fußballspiel auf Handys zu übertragen, die Verzögerung vier Stunden betragen habe. Mittlerweile dauere es nur noch zwei Minuten, bis der Fußball auch auf dem Handy das Tor trifft.

Offen ist noch immer, welche Inhalte welche Nutzer wie hoch bezahlen würden. T-Mobile entdeckte in diesem Zusammenhang die Business-Kunden und damit das Lösungsgeschäft. „Die Geschäfstkunden waren immer die ersten, die Telefon und Internet genutzt haben. Jetzt wollen wir mit System-Integratoren zusammenarbeiten, die das Geschäft der Kunden kennen“, erläuterte Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender T-Mobile Deutschland. Ansonsten bestehe die Gefahr, sich insbesondere bei der Suche nach UMTS-Applikationen „zu verzetteln“. UMTS hat T-Mobile übrigens aus dem Sprachschatz gestrichen und durch „Multimedia“ ersetzt, und statt von einer UMTS-Karte für das Notebook spricht Höttges von einer Datenkarte, die den Kunden je nach Ort und Angebot den schnellsten Zugang zu Informationen gewährleisten soll.

IBM gehört zu jenen System-Integratoren, die T-Mobile sich als Partner wünscht. Auf der System stellte IBM jedoch eine Anwendung beim Pharmaunternehmen Pfister Oy vor, die mit dem Handy-Hersteller Nokia zusammen entstanden ist. Die mobilen Vetriebsmitarbeiter berichten mittlerweile per Laptop, Nokia 9210 und PDA über ihre Aktivitäten und rufen Kundendaten aus der Unternehmens-DV ab.

Auch an Services mit Hilfe der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M) erinnerte Höttges beiläufig. Doch Erfahrungen beispielsweise von Siemens oder IBM zeigen, daß sich T-Mobile und Wettbewerber mit dem Service-Gedanken schwer tun. So sind die üblichen Tarife zu teuer für ständige Überwachung etwa per GPS. Ein M2M-Exempel präsentierte der IT-Dienstleister Logica CMG. Er implementierte auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol ein Versuchssystem für das Asset-Tracking. Mit Hilfe von GPS- und Radio-Frequency-Signalen lassen sich Busse, Container sowie sämtliche Spezialfahrzeugzeuge orten.

Und was kostet das?

Doch tun sich die Mobilfunkanbieter generell schwer mit Tarifen. So bekundete etwa T-Mobile-Chef Höttges in München die Absicht, die Tarife zu vereinfachen. Die Anwender hätten gerne, wie im DSL-Bereich üblich, Flatrates – etwa anstelle von transaktionsbasiertem Pricing. Doch die seien, wie Uwe Bergheim, CEO von E-Plus, ausführte, „immer Ausdruck von Überkapazitäten und das Ende eines Preiskampfes“. Andererseits halten undurchsichtige Tarife Consumer wie Geschäftskunden davon ab, in ein unbekanntes Terrain wie UMTS vorzudringen. Dem T-Mobile-Manager sind vor allem die hohen Roaming-Preise ein Dorn im Auge und er will die „Subventionierung der Endgeräte“ abschaffen. Bis jetzt müssten die zu einem Spottpreis angebotenen Handys mit vergleichsweise teurer Airtime bezahlt werden. Er plädierte – quelle surprise – für teurere Handys.

O2-Chef Gröger favorisierte dagegen „Pakete“ – für Tarife und Services. Das dürfte manch einen an die ewig auf der Wiese sitzende Veronika Ferres erinnern, die sich in der jüngsten O2-Werbung nicht für ein Paket entscheiden kann, weil der Werbetext jedes Mal anders ausfällt.

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