[modern life]

Freizeitgesellschaft macht schlapp

Von Andreas Beuthner

[14-9-04 / p57] Da freuen sich freischaffende Ärzte und Krankenhausmanager: Über 300 Milliarden US-Dollar geben amerikanische Werktätige per anno für die Erhaltung ihrer Gesundheit aus, Tendenz steigend. Nach einem Bericht der „New York Times“ hat das American Institute of Stress in New York alarmierende Zahlen über den Zustand der Arbeiter und Angestellten veröffentlicht. Danach sehen sich 62 Prozent der amerikanischen Angestellten einem ständig steigenden Leistungsstreß an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt. Mehr als die Hälfte der Befragten ist regelmäßig nach Arbeitsschluß derart ausgepowert, daß sie zuhause nur noch übermüdet ins Bett sinkt. Handys und Laptops verwandeln zudem die häusliche Freizeit in (kostenlose) Arbeitszeit. Die Vereinten Nationen (UN) verfolgen diesen Trend bereits seit einem Jahr und warnen vor der zunehmenden Gefahr des aus Japan bekannten Umfallersyndroms Karoshi. Laut International Labor Office verschärfen sich die Arbeitsanforderungen weltweit auf nahezu allen Ebenen der Unternehmen, vorausgesetzt es handelt sich um entwickelte Volkswirtschaften mit ambitionierter Industrie und ausgeprägter Wettbewerbskraft.

Die erschreckende Wirkung hochverdichteter Arbeit auf die körperliche und seelische Verfassung der Menschen ruft auch hierzulande erste Reaktionen hervor. Das unter dem Stichwort Burn-out-Syndrom oder Hamsterrad diskutierte Phänomen erfaßt nicht nur nervenschwache Lehrer, sondern auch die Leistungsträger der Nation. „Führungskräfte leiden unter Streß“ schrieb unlängst die „Süddeutsche Zeitung“. Die Manager bringen nichts mehr auf die Reihe, und das in einer Gesellschaft, die mehr Freizeit (und Arbeitslose, also entschleunigte Arbeitnehmer) bietet als jede zuvor!

Der Gedanke, die Ursachen für den vermehrten Streß einfach abzustellen, verbietet sich auch für aufgeklärte Beobachter. Denn die Beschleunigung der modernen Welt beruht auf tiefsitzenden Mechanismen, die im Zuge der „Globalisierung des Turbokapitalimsus neoliberaler Prägung“ wie ein ehernes Gesetz wirken. Natürlich gebe es kleine „Notausstiege“ oder auch "Zeitinseln", formuliert der Buchautor Fritz Reheis. Aber "ein geordnetes Bremsen des Hamsterrades kann in einem Marktsystem weder von den einzelnen Akteuren einer Volkswirtschaft noch von den Nationalstaaten einer Weltwirtschaft garantiert werden".

Die Politik steht recht hilflos vor einem Phänomen, an dessen Zustandekommen sie tatkräftig mitwirkt. Für manchen Marktbeobachter konterkarieren die Erfolgskosten gar das zugrundeliegende Ziel von mehr Wachstum und Wohlstand. Aber hängen Kosten und Ertrag nicht irgendwie ganz fundamental zusammen? Nur eine Frage.

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