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„Militärisch präzise“

[5-7-04 / p57] Unter diesem Titel berichtet in der „Wirtschaftswoche“ Nr. 28 vom 1. Juli 2004 Silicon-Valley-Korrespondent Matthias Hohensee über den Computerbauer Dell und seinen Gründer Michael Dell (39), inzwischen der zweitreichste Mann in seinem Heimat-staat Texas. Bewunderung und leichte Distanz halten sich in dem Artikel in etwa die Waage, eines ist jedoch über jeden Zweifel erhaben: Der Mann hat den richtigen Riecher gehabt, als er sich in den 80er Jahren aufmachte, Computer aus bestehenden Versatz-teilen zusammenzuschrauben und am etablierten Handel vorbei direkt und nur auf Bestellung zu vertreiben. Das mag natürlich ein Wirtschaftsblatt, wenn einer so richtig in der Marktwirtschaft nach oben kommt – mit 1.000 Dollar vom Papa geliehenem Start-kapital. Um den Erfolg von Dell ranken sich viele Mythen, und die Dell-Manager haben fleissig an ihnen mitgestrickt. Vor allem das ausgeklügelte Produktionssystem und das Direktmodell seien so genial, dass es niemand nachmachen könne. In der Tat ist das bisher nicht eingetreten, und Dell eilt von Profithöhe zu Profithöhe. Das Interessante an Hohensees Artikel besteht darin, dass er diese Verhimmelung Dells nicht umstandslos mitmacht, sondern neben seinen Beobachtungen vor Ort in Austin, Texas, vor allem einige Klarstellungen über Produktionsweise und Management bringt: „Preisdruck, Spardoktrin, Leistungskultur“ kennzeichneten das System Dell. Anders ausgedrückt: Der Arbeitsdruck in den Dell-Fabriken und an den Dell-Fließbändern ist enorm, die Lieferanten werden einem pausenlosen Vergleichstest und Preisdruck ausgesetzt, und die Outsourcing-Anteile der Produktion werden immer größer – ebenso der Druck auf die inländische Produktion. Hohensee lobt das unternehmerische Geschick Dells, auf eine vernichtend negative Mitarbeiterumfrage zu den Arbeitsbedingungen positiv reagiert zu haben: Das Management mache jetzt auf Motivation und hänge in den Betrieben Plakate mit fröhlichen Gesichtern von Angestellten und Arbeitern auf (Text: „We are The Soul of Dell.“). Hohensee zitiert aber auch einen Dell-Manager mit den Worten „Wer sich nicht anstrengt, ist hier fehl am Platz.“ Alles irgendwie amerikanisch, nur eben noch einen Tick perfekter als bei der Konkurrenz. Eben mit „militärischer Präzision“. Das waren alles einmal Bestandteile des Wirtschaftswunders „Made in Germany“ – da werden sich deutsche Regierungen und Unternehmen noch einiges an Verschärfungen der sozialen Bedingungen ausdenken müssen, damit „wir“ da wieder den Anschluß finden. – Michael Dell im Interview mit Matthias Hohensee: „ Frage: Gibt es nach all den Jahren in der Computer-industrie noch etwas, das Sie überrascht? – Antwort: Klar. Sony gibt in den USA das Geschäft mit Palm-Handhelds auf. Was überrascht mich daran? Dass bisher niemand öffentlich zugegeben hat, dass Sony den Markt verlässt, weil zu viel in Forschung und Entwicklung investiert wurde. Das Gleiche gilt für unseren Wettbewerber Sun. Sun verdient kein Geld, weil sein Chef Scott McNealy zu viel Geld in Forschung und Entwicklung steckt. So einfach ist das. Aber keiner spricht es aus. Stattdessen werde ich angegriffen, weil Dell angeblich zu wenig in Forschung und Entwicklung investiert. Aber wir sind profitabel. Das ist doch verrückt, oder?“ – So einfach ist das scheinbar. Dabei ist es doch so, dass die Kritiker durchaus recht haben: Dell läuft dem Fortschritt hinterher, indem es andere Firmen für sich entwickeln lässt. Und dann die von anderen durchgesetzten Standards für sich ausnützt und mit der Ausreizung betriebswirtschaftlicher Methoden richtig profitabel macht. Auch eine Form von Marktwirtschaft. Zumindest solange sich kein ernstzunehmender Nachahmer findet. Doch das ist nur eine Zeitfrage.

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