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Salami-Crash seitwärts

[20-8-04 / p57] Die Börse ist ein seltsames Wesen, zumindest wenn man den berufenen Auguren aus Wirtschaftswissenschaft und Medien Glauben schenkt. Da tummeln sich angeblich „Bären“ und „Bullen“, es gibt „technische Charts“, die kein Mensch versteht (die aber den Anspruch haben, jede Auf- und Abwärtsbewegung der Kurse penibel zu erklären), und es soll sehr viel „Psychologie“ im Spiel sein. Nur eines ist glasklar: Rechtzeitig kaufen und/oder verkaufen, das mehrt den Reichtum des Shareholders. Bloß wann ist „rechtzeitig“? Tröstlich immer wieder, daß es auch die Fachleute selbst nicht so genau wissen – weshalb sie sich immer wieder in scheinbare Ironie flüchten, wie jene Damen und Herren, die im öffentlichen Fernsehen vor den Nachrichten „humorige“ Erklärungen über das Tagesgeschehen am Frankfurter oder New Yorker „Parkett“ abgeben. Selbst ein der Wirtschaft so nahestehendes Blatt wie die „Financial Times Deutschland“ gibt sich da eher geschlagen angesichts der Macht der Fakten. Am Donnerstag, den 19. August 2004, konnten wir in diesem „Pflichtblatt“ lesen: „Fallende Kurse sind keineswegs das schrecklichste Szenario für Börsianer. Noch schlimmer ist es, wenn sich gar nichts bewegt. Wenn es weder abwärts noch aufwärts geht, so wie in den vergangenen sieben Monaten. Wenn sich die Kurse so wenig bewegen, nur kurz zucken, als ob der Markt im Koma läge. „Seitwärtsbewegung“ nennen die Börsianer dieses Phänomen. Seitwärts ist ein Wort, das sie am liebsten aus ihrem Wortschatz streichen würden. Wo sich nichts bewegt, läßt sich auch niemand bewegen. Niemand setzt auf fallende, niemand setzt auf steigende Kurse. Tut sich ja nichts. „Die Kunden machen nichts mehr. Das ist der absolute Totentanz“, sagt Dieter Bohlens von der HSH Nordbank (…). Börsianer sind süchtig nach Nervenkitzel und hektischen Geschäften. In diesem Markt, so klagen sie, verkommen sie zu Verwaltern.“ – So einfach ist das also. Nichts regt sich, niemand verdient (oder verliert), Langeweile allerorten. Die Börse, so die Fachleute, ist Psychologie pur. Auch wenn sie noch sehr „IT-gestützt“ daherkommt. Andererseits soll ja Marktwirtschaft der historische Höhepunkt der Rationalität sein. Dachten wir immer, weil es genau so in den Lehrbüchern steht. Letztlich ein Widerspruch zwischen Theorie und Praxis? Was will uns die Börse sagen?

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