[tabu – ein branchentagebuch]

VON HARTMUT WIEHR

[19-7-04] Peoplesoft/Oracle: Schmutzige Wäsche
Nichts ist schöner, als wenn in einem Prozeß alles an Intrigen, Gemeinheiten, übler Nachrede und so weiter offengelegt wird. Normalerweise reicht das gewöhnliche Vorstellungsvermögen nicht aus, um sich solche Sachen en détail auszumalen. Insofern beobachten wir mit großer Anteilnahme die unendlichen Gerichtsverhandlungen rund um die Münchner CSU und freuen uns schon jetzt auf den Tag, an dem der Ex-Staatssekretär Ludwig-Holger Pfahls vor Gericht gestellt werden wird. Doch auch die USA haben einiges zu bieten: Gerade erst wurde Martha Stewart, einst eine Ikone der amerikanischen Wirtschaft, zu fünf Monaten Haft wegen kleiner Börsenbetrügereien und etlichem mehr verurteilt. Ihr Kommentar: „Eine Schande!“ – Auch die Affäre Peoplesoft/Oracle kann mit immer neuen Enthüllungen aufwarten. So wurde vor kurzem eine erneute Runde im Übernahmekampf vor Gericht ausgetragen: Wer es genauer wissen will, sollte mal auf der Website www.oraclepeoplesoftinsider.com vorbeischauen. Dort gibt es u. a. ein Transkript von Zeugenaussagen Larry Ellisons vor Gericht und weitere Interna zu lesen. Viel Vergnügen!

[12-7-04] Nachtrag: Sarkozys Erpressung
Mit Prognosen ist das so eine Sache. Wir hatten ja mit so etwas gerechnet, aber ausgerechnet die als liberal geltende "Süddeutsche Zeitung" gibt den Vorwurf von Sarkozy, Siemens habe seine Mitarbeiter erpresst, frontal zurück. Nikolaus Piper, Ressortleiter Wirtschaft der SZ, verteidigt die Position von Siemens in der Frage der Arbeitszeit-verlängerung ohne Lohnausgleich. "Ungefragt" sei Sarkozy in seinem Interview mit "Le Monde" auf Siemens zu sprechen gekommen, "als Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte". Und damit, so die "Süddeutsche", sei der Minister aus dem Nachbarland entschieden zu weit gegangen. Sarkozy habe nur an die Interessen der französischen Industrie gedacht, die er wie bei dem Alstom-Konzern gegen einen Einstieg von Siemens verteidigen wolle. Seine Erpressungsanschuldigung an Siemens sei deshalb nicht ernst zu nehmen. Üble "Einmischung" aus den Motiven veralteter "Industriepolitik" heraus. So sieht es die SZ und verteidigt die eigene, nationale Industrie - nicht nur Siemens - gegen französische Machtgelüste. Gemeinsamer europäischer Markt? Weit gefehlt. Die SZ sieht nur auf einer Seite "Erpressung" - bei Sarkozy. Und hätte dem Minister am liebsten Redeverbot erteilt.

[11-7-04] Sarkozy spricht
In Deutschland tobt die Debatte um die Arbeitszeitverlängerung – mal als Lebensarbeitszeit („Rente mit 70“), als Wochenarbeitszeit („50 Stunden sind zumutbar“) oder als Urlaubszeit („eine Woche weniger Urlaub muss sein“). Die Industrievertreter nutzen mal wieder die Gunst der Stunde, die genau genommen nun schon seit mindestens 20 Jahren da ist, und kommen fast täglich mit neuen Forderungen heraus. Zurück zu den alten Zeiten, das nennt man heute „Reform“. Und wer wollte sich da schon verschliessen, wenn es lediglich und nur um „Reformen“ geht? Das kennt man nun zur Genüge. Auch, dass die Politik in Deutsch-land immer wieder nachlegt. Besser: Der Wirtschaft das nächste Stichwort vorlegt. So an diesem Juliwochenende, als der Kanzler (ganz staatsmännisch: „Hier stehe ich und kann nicht anders“) wieder einmal davon spricht, dass man es den Unternehmen „flexibler machen“ müsse; und der neue Bundespräsident ebenso staatsmännisch und ziemlich parteiisch meint, „man muss sich darauf konzentrieren, was die Unternehmen wett-bewerbsfähiger macht“. Und dann die Stimme des französischen Superministers Nicolas Sarkozy, der sich erdreistet, zu den Vorgängen im Nachbarland warnend die Stimme zu erheben: "So etwas wäre bei uns nicht akzeptabel", sagte der Minister der Tageszeitung "Le Monde". "Man kann von Angestellten nicht verlangen, dass sie 39 Stunden für den Lohn von 35 Stunden arbeiten". Es sei "Erpressung", den Mitarbeitern zu sagen, dass Unternehmensteile verlagert werden, "wenn ihr nicht länger arbeitet, ohne mehr zu verdienen". Mit „so etwas“ meinte der gute Mann die zwischen Siemens und der Gewerk-schaft einvernehmlich vereinbarte Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich (sprich eine Lohnkürzung um etwa 15 Prozent) in zunächst zwei Fabrikationsstätten. Bei Siemens in Nordrhein-Westfalen war letzte Woche für rund 4.000 Beschäftigte eine längere Arbeitszeit vereinbart worden. Hier gilt wieder die 40-Stunden-Woche, ohne Lohnausgleich. Dafür verzichtete Siemens darauf, 2.000 Arbeitsplätze nach Ungarn zu verlagern. „Die Gewerk-schaftsspitze hatte das Modell gutgeheißen“, schreibt die Financial Times Deutschland in ihrer Online-Ausgabe vom 10. Juli. Sarkozy sprach sich dagegen für flexible Regelungen aus. "Diejenigen, die wollen, sollen länger arbeiten und auch mehr verdienen können". Die übrigen sollten bei der 35-Stunden-Woche bleiben dürfen, "die als gültige Wochen-arbeitszeit bleiben sollte". – Wetten, dass Sarkozy in den Montagszeitungen so schöne Sachen wie „unzulässige Einmischung in deutsche Angelegenheiten“ und „persönliche Profilierungssucht“ vorgeworfen werden? Dass er vielleicht ein Quentchen Recht haben könnte, solche Aussagen wird man wohl vergeblich suchen.

[navigation]