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Echtzeit – gibt es das?

[25-11-04 / p57] Real Time ist ein Begriff, den Gartner in die Debatte um "IT aus der Steckdose" geworfen hat. Es gibt ja bekanntlich nichts Schöneres als eine laufende Auseinandersetzung durch einen neuen Begriff zu bereichern. Dieses Verfahren gibt es auch in der Hinterfragungs- und Definitionsvariante („Wir müssen erst einmal definieren, über was wir gerade reden.“) oder in der aggressiven Variante („Alles Quatsch, was bisher gesagt wurde.“). So weit würden die Gartner-Analysten natürlich nie gehen. Aber dennoch – sie prägten ihren eigenen Begriff gegenüber „On Demand“ (IBM), „Adaptive Enterprise“ (HP) und ähnlich lautenden Ansätzen. Dabei geht es allen offensichtlich um das Gleiche. Die meisten parteiischen Hersteller (sie möchten schlicht mehr verkaufen) und die meisten Analysten (sie legen Wert auf Differenzierung) reden nur davon, wie IT-Prozesse und Geschäftsabläufe besser unter einen Hut zu bringen sind. Hier IT, dort Business. Hier Vorleistungen oder Hinterherlaufen, dort das eigentliche Leben. Zeitnah, anpassungsfähig, reaktionsschnell usw. etc.pp. – gemeint ist immer, daß irgendwie eine Lücke klafft zwischen Tool und Target. Aber gehört das nicht haarscharf zu der Ausgangssituation? Kann es überhaupt anders sein, daß Verfahren und Aufgabe nicht ad hoc zueinanderpassen? Muß ein Marathonläufer nicht über bestimmte Muskeln, Ausdauer etc. verfügen, DAMIT er schließlich der Konkurrenz erfolgreich davonläuft?

Die Gartner-Leute glauben, mit folgenden Gegenüberstellungen etwas ganz Großes entdeckt zu haben:

Today’s Reality

(1) IT reacts slowly to business requirements, has unpredictable reliability, with large expenses that don’t correlate to business

(2) IT is cost center

(3) IT organization owns IT strategy

Tomorrow’s Vision

(1) IT detects/reacts in real time to business, reliably, with costs correlated to business priorities

(2) IT is profit center, providing value-based IT services that drive business

(3) IT strategy is tied to business strategy

Aber: Ist es nicht immer so, immer schon so gewesen und kann es auch gar nicht anders ein, daß sich nach der Lösung eines Problems heute schon das nächste morgen oder übermorgen auftut? Hängt das vielleicht nicht doch ganz einfach mit dem Begriff der Zeit zusammen? Erinnert sei hier an den berühmt gewordenen Spruch eines japanischen Historikers vom „Ende aller Geschichte“, nur weil der ehemals so feste Ostblock Anfang der neunziger Jahre überraschend auseinander gebrochen war. Im Laufe der Jahre hat jener Historiker bemerkt, daß er wohl doch etwas zu vorlaut gewesen war – seine These hat er inzwischen zurückgezogen. Zur IT zurückkehrend: Wie soll das jemals funktionieren, daß sich ein neues Geschäftsproblem auftut und die IT es SOFORT löst? Als hätte sie nur darauf gewartet?

Wem das alles zu philosophisch klingt, der möge einmal folgendes bedenken: Ein Unternehmen A muß überraschend Insolvenz anmelden; der Geschäftsführer muß als erstes gehen; Rechtsanwälte und Richter übernehmen das Sagen. Und die IT-Abteilung mit ihren Infrastrukturen, Servern, ERP- und sonstigen Programmen: Was macht die eigentlich jetzt? Sie hat die Lösung in der Tasche? In „Echtzeit“? Oder reagiert sie nur? Zwangsläufig. Weil sie gar nicht anders kann; weil sie per definitionem eben nur ein zugeordneter Dienstleister ist zu Prozessen, Abläufen, Entscheidungen, die prinzipiell jenseits von ihr angesiedelt sind?

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