[wunderbare welt der wissenschaft]

Die Vorsehung wird es schon richten

VON ANDREAS BEUTHNER

[14-10-04] Die Gentechnik …

… gehört zu den umstrittenen Wissenschaftsdisziplinen. Als anwendungsnahes Arbeitsgebiet der Genetik und Biologie begleitet sie von Anfang an der Verdacht, daß die Forschungsergebnisse einer „Entwicklung zur Unmenschlichkeit“ Vorschub leisten. Keine Podiumsdiskussion in den 80er und 90er Jahren, bei der nicht Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik über die Gefahren der Menschenzüchtung debattierten. Allen voran der Deutsche Evangelische Kirchentag und die Deutsche Bischofskonferenz. Auf den Punkt gebracht lautet die kirchliche Intervention in Sachen Gentechnik: Der Austausch von Gensequenzen in Stammzellen unterläuft den Schöpfungsplan des Herrn.

Viel geholfen haben die mahnenden Worte der Geistlichkeit nicht. Der von Kanzler Schröder ins Leben gerufene Ethikrat hat sich nach einjährigen Beratungen nun zu einem doppeldeutigen Ergebnis durchgerungen: Zwölf der 25 Gremienmitglieder haben sich für ein Ja zum so genannten therapeutischen Klonen unter strengen Bedingungen ausgesprochen und fünf dagegen. Fünf weitere Mitglieder wollen am Klonverbot festhalten, zeigen sich aber offen für verwandte Techniken, die eine Erzeugung von Embryonen umgehen. Keine klare Position folglich, sondern eine diplomatische Note, die beides empfiehlt – Weitermachen, aber nicht gleich mit menschlichen Stammzellen.

Neben den Kirchen melden sich auch andere kritische Geister zu Wort. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace beispielsweise hat die Patentierbarkeit von gentechnisch hergestelltem Erbgut aufs Korn genommen. Für Aufsehen sorgte der Fall einer kanadischen Fischzuchtfirma, die Lachse mit einem gentechnisch „optimierten“ Wachstumshormon unter Patentschutz stellen ließ. Der Fisch soll sechsmal größer sein als die konventionell behandelten Artgenossen. Tatsächlich hatte das Europäische Patentamt im Jahre 1999 die Patentfähigkeit von Pflanzen und Tieren gebilligt. Seitdem reichen Gentechnikfirmen täglich Patente für Gene oder Genstückchen ein. Sogar die US-Regierung soll bereits mehr als 2.000 solcher Patente angemeldet haben.

Die Patente sind die Grundlage für künftige Geschäfte. Diese Aussichten beflügeln nicht nur den Forschercampus, sondern eine wachsende Gemeinde an großen und kleinen High-Tech-Companies, die mit Genmaterial arbeiten. Die Schwerpunkte liegen derzeit in der Landwirtschaft und bei Medikamenten. Sogar ein Reagenzglas voll Stammzellen für’s Genlabor läßt sich mittlerweile bei einschlägigen Lieferanten per E-Mail ordern. Rein für die Grundlagenforschung versteht sich, denn das Einschleusen fremder Gene in das Erbgut eines Embryo überschreitet derzeit (noch) die gesetzlichen Grenzen.

Dem urchristlichen Glaubenssatz, ER will es so, halten aufgeklärte Wissensarbeiter ihre Sichtweise entgegen: Toll, was es alles gibt, laßt uns was daraus machen – und widerlegen damit ganz nebenbei die Geltungskraft der göttlichen Vorsehung. Doch selbst Genforscher, die nichts lieber täten, als dem Homo sapiens ein paar neue Chromosome einzupflanzen, kennen durchaus einen moralischen Imperativ. Der Neurobiologe Oliver Brüstle beschränkt sich aus vollster Überzeugung auf Gendefekte und will nichts als therapieren, also Gottes Geschöpf zu seiner eigentlichen Vollkommenheit verhelfen. Denn natürliche Widrigkeiten plagten eben nicht nur den Steinzeitmenschen. Auch der moderne Mensch macht trotz Fügung von oben Bekanntschaft mit der grausamen Seite von Mutter Natur.

Angesichts der anhaltenden Debatten im Fernsehen und auf den Feuilletonseiten der Zeitungen fühlt sich Hans-Olaf Henkel, einstmals Chef von IBM-Deutschland und des BDI (Bund der deutschen Industrie) und heutiger Präsident der Leibniz-Gemeinschaft zu Berlin, aufgefordert, seine Stimme zu erheben und den Kritikern mal kräftig ans Bein zu pinkeln. Der Ex-Manager im Ruhestand weiß immer noch, worauf es ankommt: „Ob wir wollen oder nicht“, stellte Henkel vor kurzem in einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung fest, die Gentechnik erobere wegen ihrer Vorzüge längst immer weitere Teile der Welt. Wer sich diesem Siegeszug widersetze, schade nur sich selbst, denn er wird abgehängt von Nationen, die das Geschäft mit den Genen ungehindert vorantreiben. Und mit einem kleinen Seitenhieb auf die Medien, die wegen der Ausgewogenheit auch kritische Stimmen zu Wort kommen lassen, kanzelt Henkel die letzten Standfesten ab: „Diese behauptete und argumentativ ständig benutzte Ablehnung der Gentechnik ist weitgehend durch die Medien über Jahre eingeimpft und durch Greenpeace herbeiprotestiert worden.“

Damit liegt Henkel auf Augenhöhe mit großen Teilen des Regierungslagers. Die derzeit gültigen Rechts- und Aufsichtsreglements wollen keineswegs die muntere Forschungstätigkeit in Sachen grüner Gentechnik (Landwirtschaft) und Humangenetik (menschliche Stammzellen) ausbremsen. Seit Jahren fließen Fördergelder, es gibt Lehrstühle, Studiengänge und jede Menge Studenten, die sich dem Geschäft von morgen widmen. Der staatliche Vorbehalt heißt Kontrolle. Denn jeder weiß, daß geschäftstüchtige Landwirte zwecks Verwertung ihrer Ressourcen wenig Skrupel kennen. Es ist auch kein Geheimnis, daß exaltierte Mediziner ihren Namen gern in den Annalen der Wissenschaftspioniere wiederfinden wollen oder durchgeknallte Sektenführer nicht nur in den USA zugange sind. Genforschung mit Auflagen folglich lautet die Direktive aus dem Bundeskanzleramt. Dazu passend das Votum des Ethikrates.

Bei allem Realitätssinn – ein Blick in die Wirklichkeit der staatlichen und industriellen Forschungsszene kann doch stutzig machen. Was da zusammengebraut wird und der Menschheit in Form von Produkten zur Verfügung steht, ist alles andere als purer Gebrauchswert. Vom gentechnisch veränderten Maiskolben bis zu den bekannten Lebensmittelskandalen der jüngeren Vergangenheit, von den Seuchengefahren durch Killerviren bis zum Strahlenrisiko durch Kernkraftwerke – das alles ergibt ein Gefahrenpotential, das beunruhigen kann. Doch wenn jetzt aufgeschreckte Zeitgenossen wieder in die mit Ethikdebatten der professionellen Seelsorger samt Esoterikeranhang einsteigen, haben sie Hans-Olaf nicht richtig verstanden – die Räder der Wirtschaft laufen einfach nicht mehr „gentechnikfrei“, basta. Da sage einer noch, die Manager stehen nicht mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen.

Elektrosmog …

… und dessen Auswirkungen auf die menschliche Befindlichkeit zählen zu den ungeklärten Rätseln der modernen Forschung. Seit Jahren jagt eine Studie die andere mit dem immer gleichen Ergebnis. Da setzt eine belgische Arbeitsgruppe Rattengehirne hochfrequenten Feldern aus (HF-Felder) und stellt Veränderungen im Erbgut fest – die Ergebnisse konnte eine andere Gruppe partout nicht reproduzieren, und schon fällt der Beweis schädlicher Auswirkungen in sich zusammen. Offenbar stößt sich die internationale Wissenschaftlerszene am ewigen Hin und Her wenig. Die Quintessenz der zahllosen Kongresse und Workshops jedenfalls läßt regelmäßig eine klare Auskunft vermissen. Lieber wird alles offen gelassen: Es kann sein, daß bei Vieltelefonierern durch die hochfrequente Strahlung allmählich die Zellen wegen Erwärmung randalieren – oder auch nicht. Es sollen auch schon Leukämiefälle aufgetaucht sein, für deren Ursache eine erhöhte Strahlenexposition in Frage kommt – oder auch nicht.

Selbst die Forschungsgemeinschaft Funk e.V., die seit 1992 mit erheblichem Finanzaufwand mehr Licht in die miserable Erkenntnislage bringen will, kann letzte Zweifel an der Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder nicht ausräumen. Beispielsweise wälzten 40 Experten vor einigen Monaten in Helsinki die Frage, ob elektromagnetische Felder im Frequenzbereich des Mobilfunks Streßproteine in den Zellen aktivieren und unter bestimmten Umständen den Zelltod auslösen können. Der Workshop endete erwartungsgemäß mit „Jein“. Fruchtfliegen, die mit einem GSM-Handy in Kontakt standen, gaben „Streßantworten“, hingegen führte beim Fadenwurm erst eine höhere Umgebungstemperatur zu einer Genaktivierung, vermelden die Forscher in aller Seriösität.

Wenig Erhellendes brachte auch eine ähnliche Veranstaltung in Fort Lauderdale/Florida. Die Referenten befassten sich mit „biophysikalischen Mechanismen zur Erklärung der Wirkung hochfrequenter Felder im Intensitätsbereich des Mobilfunks“. Schon der erste Vortrag wurde mit Zweifeln an der Meßmethode ins Reich der Vermutungen verwiesen. Ähnliches ereilte die Frage, ob wirklich Mobilfunkschwingungen oder nicht doch die Wärmeaufnahme zu Reaktionen in den Zellen führen. Da Signalverläufe im molekularen Zellverband sich ohnehin einer präzisen Beobachtung entziehen (könnten), kann der Forscher nur schwer entscheiden, ob es sich bei seinen Ergebnissen um „nicht-thermische Effekte“ oder eben nur um die übliche Thermorezeption handelt. Schließlich weiß ja jeder, daß Tiere und Menschen thermosensible Organe besitzen.

Als dann zum Ende der Veranstaltung einer der Experten den „schwierigen Versuch“ unternahm „mögliche nicht-thermische Wirkungsmechanismen hochfrequenter Felder in einer Tabelle zusammenzufassen“, geriet der Workshop vollends ins Wanken. Wie Professor Roland Glaser, ehemaliger Leiter des Instituts für Biophysik an der Humboldt-Universität Berlin, berichtet, ließ sich „nicht nur aus Zeitgründen, sondern wegen der zum Teil kontroversen Meinungen (...) eine Erstellung dieser Liste während des Workshops nicht realisieren“.

Wem wegen des hohen Niveaus wissenschaftlicher Diskussionen schwindlig wird, sollte sich an eher bodenständige Instanzen halten. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, fordert zu einem vorsichtigeren Umgang mit Mobilfunktechnik auf. Zwar gebe es noch keinen Beweis, daß „die Mobilfunkstrahlung die Gesundheit gefährdet", aber es gebe „Hinweise auf mögliche biologische Beeinträchtigungen durch die Strahlen des Mobilfunks", sagte König dem Berliner „Tagesspiegel“. Im Umgang mit dieser Technologie seien Vorsorgemaßnahmen zu beherzigen, fügt der Strahlenschutzexperte noch hinzu. Seltsam – jetzt liegt es doch an jedem Einzelnen, mit welchem Risiko er es beim mobilen Telefonieren zu tun bekommt.

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