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Wirtschaftswoche will „weniger Demokratie wagen“

[16-8-04 / p57] Wie bitte? Weniger gleich mehr? Manchmal könnte man meinen, die ehrwürdige „Wirtschaftswoche“ unter ihrem ach so mutigen Chefredakteur Stefan Baron hätte vollkommen den Boden unter den Füßen verloren. Klar, daß ein Blatt der Wirtschaft nur und ausschließlich für die Interessen eben dieser Wirtschaft das Wort ergreifen kann. Aber muß es immer so plump sein? (Auch wenn für Gebildete die Umkehr aller Werte dezent angedeutet wird – Altkanzler Willy Brandt hatte seinerzeit die Parole von „mehr Demokratie wagen“ ausgegeben.) Ausgerechnet angesichts einer solchen Nebensächlichkeit wie den jüngsten Verwerfungen angesichts der Rechtschreibreform [vergleiche die Stellungnahme von ZAZAmedia vom 9. August 2004] wittert Chefredakteur Baron (nomen est omen) den Untergang des Abendlandes. Und das nur, weil zwei seiner ärgsten Konkurrenten – der Springer- und der Spiegel-Verlag – sich zu einer vorsichtigen Rückkehr zur alten Rechtschreibung, das heißt jener vor der letzten Reform (und nicht zu der, zum Beispiel, aus der Goethezeit), entschlossen haben. Baron wittert Schlimmes (in der Ausgabe vom 12. August 2004), ganz so wie die Grünen, letztlich die Rückkehr zur Anarchie. Man glaubt es kaum, aber die „Wirtschaftswoche“ öffnet ihrem Chef (er sich?) zwei komplette Seiten für so Scharfsinniges wie diesem: „ Ein Zuviel an Demokratie, das heißt ein zu kurzer Zeithorizont – zumal in einer überalterten, weithin kinderlosen Gesellschaft. Ein zu kurzer Zeithorizont aber, das bedeutet eine allein am hier und heute orientierte, kurzsichtige Politik (siehe Rechtschreibrefom), zu hohe Bereitschaft zum Schuldenmachen und zum Aufblähen des Staatsumfangs. Am Ende droht der Bankrott. Ein Zuviel an Demokratie, das heißt auch ein Zuviel an Umverteilung, lähmt sowohl den Leistungswillen derer, die dabei ohne große Anstrengung Geschenke erhalten, als auch derer, die diese Geschenke zu zahlen haben. Am Ende droht die allgemeine Leistungsverweigerung und der allgemeine Wohlfahrtsstaat sowie in deren Gefolge die autoritäre Versuchung.“ Starker Tobak – vom Wohlfahrtsstaat direkt in die Diktatur? Bankrott wegen zuviel Staat? Und nicht vielleicht doch wegen grundfalscher unternehmerischer Entscheidungen? Gerade der Verlag der Wirtschaftswoche hätte sicher dazu einiges beizutragen. Wie war das noch mit „E-Business“ oder jetzt wieder mit „Five to Nine“? Natürlich ficht das alles einen Baron nicht an: „Es ist an der Zeit, weniger Demokratie zu wagen, um wieder mehr Freiheit, Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft zu gewinnen und die Demokratie selbst in ihrer Substanz zu erhalten.“ Und das alles wg. dem scharfen „ß“? Rechtschreibreform = Kommunismus und Anarchie? Baron wird es schon wissen.

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